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Wie wir uns mit Mut und Resilienz neu erfinden können

Von der Logopädin zur Coachin || Interview mit Ina Kimmel

Christine | VISION SESSION | Die Vision führt uns an! - Der Podcast für visionäre Team- und Organisationsentwicklung

Wie können wir uns in unserem Business und mit unserem Business neu erfinden? Wie kommt man dazu, eine langjährige therapeutische Praxis aufzugeben, um eine neue Selbstständigkeit als Coach zu starten? Und was hat das Ganze mit Mut und Resilienz zu tun? Darüber spreche in dieser Folge mit Ina Kimmel.

 

Ina ist Logopädin und systemische Coachin. Sie war 10 Jahre lang Inhaberin einer Praxis für Logopädie in Dortmund, bis sie sich 2021 dazu entschieden hat, ihre Selbstständigkeit zu transformieren. Mittlerweile arbeitet sie hauptberuflich als systemischer Coach und Teamentwicklerin und sensibilisiert Therapeut:innen und therapeutische Teams für das Thema Resilienz.


Ina Kimmel im Interview

 

 

Liebe Ina, lass uns doch direkt mal in die verschiedenen Etappen deiner Selbstständigkeit einsteigen. Wie kam es dazu, dass du deine Selbstständigkeit nach 10 Jahren von der Logopädin noch einmal zur Coachin verwandelt hast?

Ina: Ich habe mich schon während meiner Selbstständigkeit als Logopädin ständig weiterentwickelt. Es war also nicht so, dass ich mir überlegt habe: „Nach den 10 Jahren mache ich einen harten Cut und starte etwas Neues.“ Im Gegenteil: Ich habe parallel zu meiner Praxis mein Masterstudium absolviert und mit der Coaching-Ausbildung begonnen. Es liefen also viele Dinge gleichzeitig und ich habe mir anfangs gedacht: „Schauen wir doch einfach mal, wo mich das hinbringt. Irgendwas wird da am Ende schon rauskommen.“


Ich muss aber gestehen, dass manchmal auch der Glaubenssatz angeklopft hat, ob dieses parallele Arbeiten richtig ist oder ob ich mich nicht lieber nur auf eine Sache konzentrieren sollte. Und ich habe gemerkt, dass manche Glaubenssätze auch mit Erwartungen von Außen verbunden waren. Denn ich hatte Gedanken wie:

  • Jetzt hast du eine Praxis und jetzt darf sie doch auch wachsen.“
  • „Du willst dir doch bestimmt ein riesiges Team einstellen und dich vergrößern.“
  • „Jetzt bist du doch bestimmt angekommen.“

Ich habe jedoch innerlich ganz schnell gemerkt, dass sich Ankommen für mich total blöd anfühlt. Es war also wirklich ein Prozess, mit der Zeit zu akzeptieren, dass ich total gerne neue Dinge aufnehme und gerne nach links und rechts schaue, welche Angebote und welches Wissen es gibt. Und dass es vielleicht nicht für alle Menschen das Richtige ist, aber für mich schon.

 

Am Anfang habe ich damit ein bisschen getstruggelt und mir gesagt: Jetzt musst du dich aber mal beruhigen." Ich habe dann auch für mich geklärt, ob es vielleicht damit zusammenhängst, dass ich im Business nie das Gefühl habe, fertig zu sein oder gut genug zu sein, bis ich endlich anfangen kann. Damit hatte es aber gar nichts bis wenig zu tun. Sondern es war die Neugierde, neue Themen für mich zu entdecken.

 

Und seitdem es "Klick" gemacht hatte, war es gar nicht mehr so schwierig und letztlich sogar eine logische Konsequenz. Denn ich habe dann schon während meiner Praxistätigkeit irgendwann angefangen, parallel Seminare für Therapeuten und Therapeutinnen anzubieten. Also ich war in dieser Zeit schon in den zwei Rollen als Praxisinhaberin und Dozentin unterwegs. In den Seminaren habe ich dann gemerkt, wie viel Spaß es mir macht, mit Gruppen zu arbeiten, während man in der Logopädie ganz klassisch nur das 1:1 Szenario hat. Und so nahm das Ganze dann seinen Lauf. 

 

Magst du uns einmal abholen, wen du heute alles coachst?

Ina: Ich habe mich lange gefragt, ob ich mich sehr breit aufstellen soll, habe mich dann jedoch tatsächlich dazu entschieden, mich auf die Zielgruppe zu spezialisieren, zu der ich selbst auch lange gehöre bzw. gehörte. Meine Zielgruppe sind Therapeutinnen und Therapeuten, die entweder angestellt sind, selbstständig mit einer Praxis oder in der Klinik arbeiten. Also die Bubble von Logopäd:innen, Ergotherapeut:innen und Physiotherapeut:innen. Ich sehe hier meinen Vorteil darin, dass ich diese Szene auch von innen heraus sehr gut kenne, aber trotzdem auch die nötige Distanz mitbringe, um Impulse zu geben, weil ich einerseits noch dazugehöre, aber auch nicht mehr zu 100 Prozent. Und ich denke, dass das sehr hilfreich sein kann.

 

Es gibt einen schönen Begriff dafür, das "Kompetenzkapital" oder auch "Karrierekapital". Also das Kapital, das wir und über unsere Expertise aufbauen und mitnehmen, um beispielsweise Menschen auch gut beraten zu können. Dazu gibt es ein gutes Buch von Cal Newport mit dem Titel: So Good They Can't Ignore You: Why Skills Trump Passion in the Quest for Work You Love. 

 

Jetzt würde mich trotzdem noch mal interessieren, wie es zu dem Cut kam, deine Praxis nach 10 Jahren zu verkaufen. Gab es nicht die Option, auch beides zu tun?

Ina: Ich habe tatsächlich lange darüber nachgedacht, weil beides ja auch mehrere Jahre wunderbar parallel funktioniert hat. Ich habe dann aber gemerkt, dass meine Workshop-Tätigkeit und auch mein Interesse, in andere Bereiche reinzuschnuppern immer mehr wurde. Irgendwann kam dann die große Frage nach der Balance, denn ich möchte ja auch neben der Arbeit noch Freizeit haben und auch mal Verreisen. Wenn ich jetzt alle meine Funktionen ausfülle, als Praxisleitung, Therapeutin und Dozentin, dann bleibt fast keine Zeit mehr für andere Dinge.

 

Also habe ich erst einmal angefangen, einzelne Bereiche zu reduzieren. Zum Beispiel weniger Therapien in der Praxis zu machen. Es war also ein Prozess. Dann habe ich jedoch schnell gemerkt, dass sich ein starkes Bedürfnis nach Fokus entwickelt. Dazu kam auch das Bedürfnis, noch flexibler und ortsunabhängiger zu arbeiten. Und da passt eine Praxis nicht in meinem Sinne in das Konzept, denn ich sehe mich so gar nicht als Chefin oder Inhaberin, die nur hier und da mal in die Praxis reinschneit. 

 

Ich habe mir also gedacht: Wenn es doch mein Ziel ist, anderen Themen in meinem Berufsleben mehr Raum zu geben und ich die Möglichkeit haben möchte, flexibler und ortsunabhängiger zu haben, dann passt es besser zu mir, die Praxis gehen zu lassen." Und natürlich war das keine Entscheidung, die ich von heute auf morgen getroffen habe, sondern ein Prozess, bei dem ich mir auch selbst Unterstützung geholt habe. Ich habe ein Coaching in Anspruch genommen, um das Thema klar zu bekommen. Denn ich habe mit den Jahren gelernt, dass es mir in den allermeisten Fällen hilft, mir Support zu holen und andere Fragen gestellt zu bekommen, als die, die ich mir selbst stelle. 

 

Und dieses Coaching war auch sehr hilfreich, um auch dem Abschiedsprozess Raum zu schenken. Denn ich habe diese Praxis 10 Jahre lang aufgebaut und es hat mir auch Spaß gemacht, aber es hat nicht mehr zu dem gepasst, wo ich hinmöchte. Es war also auch ein Loslassen, denn ich habe auch mein Team sehr geschätzt. Ich habe also gemerkt, dass ich den Abschied auch gestalten darf und alle Gefühle in Ordnung sind. Es war auch eine wertvolle Erfahrung für meine eigene Arbeit, um andere Menschen in Abschiedsprozessen besser zu unterstützen.

 

Du berätst und coachst ja heute andere Praxisinhaber:innen von therapeutischen Praxen zu Themen wie Work-Life-Balance und Resilienz. Warum ist das gerade so ein wichtiges Thema in diesem beruflichen Feld?

Ina: In der Therapiewelt arbeitet man mit ganz viel unterschiedlichem Klientel, die mit ihren Themen zu uns kommen. Und in diese Therapiesitzung bringen diese Menschen ihre Krankheitsgeschichten, ihren Leidensdruck und vielleicht auch teilweise hohe Erwartungen mit. Dann gibt es da auch noch Systeme drumherum wie Angehörige, wie Ärztinnen und Kliniken, die alle im Prinzip etwas von uns wollen. Und aus meiner Sicht ist es superwichtig, hier als Therapeut:in auch gut auf sich selbst zu achten, denn es kann ganz schnell passieren, dass man sich selbst verausgabt und alles gibt. Deshalb ist es in meinen Augen essentiell, seine eigenen Ressourcen sowie die mentale und körperliche Gesundheit gut im Blick zu haben. 

 

Aber das lernen wir leider nicht in der Ausbildung oder im Studium. Ich hätte mir im Nachhinein total gewünscht, zu wissen, wie ich mit solchen herausfordernden Situationen umgehen kann und wie ich mir einen gesunden Praxisalltag gestalten kann. 

 

Und weil es dazu keine Angebote gab, habe ich mir gedacht: Dann mach ich doch mal etwas dazu." Denn es gibt mir eine große Sinnhaftigkeit und ich habe auch eine große Resonanz bekommen sowie die Erleichterung von Endlich geht es mal um uns."

 

Ich sehe es als meine Aufgabe, einen Rahmen zu bieten, in dem durch den Austausch und Input Veränderung möglich wird. Überhaupt mal in diese Ecke der Resilienz hinzuleuchten und Möglichkeiten für den Umgang mit Stressoren aufzuzeigen. 

 

Magst du uns mal mitnehmen, welche wichtigen Punkte es zum Thema individuelle Resilienz zu beachten gibt und was du deinen Seminarteilnehmern mit gibst?

Ina: Grundsätzlich geht es bei der Resilienz um psychische Widerstandsfähigkeit und um Flexibilität, also: „Wie kann ich gesund mit Stressoren umgehen?“ Ganz besonders wichtig finde ich beim Thema Resilienz die Haltung. Diese ist: „Stressoren, Herausforderungen und Krisen gehören zum Leben dazu." Ich brauche also gar nicht dagegen zu kämpfen oder mich selbst infrage stellen, warum mir ständig irgendetwas passiert.

 

Im Logopädie-Alltag ist es zum Beispiel normal, dass man auch mal mit Patienten zu tun hat, die anstrengender sind. Oder es kommt vor, dass jemand mal zu spät kommt oder von einer heftigen Krankheitsgeschichte erzählt. Das gehört dazu und das müssen wir akzeptieren. Wichtig ist hier aber die Frage: „Inwiefern habe ich gelernt, mit solchen Herausforderungen umzugehen und agiere proaktiv?" Das ist die Key-Message, die ich versuche rüberzubringen. Es geht um die proaktive Haltung, indem man beispielsweise seine eigenen Gedanken oder Handlungen wahrnimmt und regelmäßig reflektiert. Oder sich selbst auch mal fragt: Wie geht es mir gerade in meinem Job?"

 

Wenn dann ein Thema bzw. Stressor aufkommt, kann man sich im nächsten Schritt überlegen, wie man seine Gefühle in diesem Kontext regulieren kann oder Strategien entwickelt, um beispielsweise nicht mehr so aufbrausend zu sein. Und man kann sich fragen, welche Ressourcen man zur Verfügung hat. Zum Beispiel kann man mal auf vergangene Situationen schauen und sich fragen: Wie habe ich die Herausforderung damals gelöst?" Daraus entstehen dann individuelle Strategien. Zum Glück gibt es nicht den 10-Punkte-Plan, um eine perfekte Resilienz abzuarbeiten, sondern es geht darum, selbst herauszufinden, was für einen gut ist.

 

Du arbeitest ja auch mit Gruppen und Teams zusammen. Ich spanne da jetzt mal den Bogen, denn du bist ja auch Teilnehmerin in meinem Online-Kurs The Inner Transformation, in dem es um Teamentwicklung geht. Wie kam es dazu, dass du dort eingestiegen bist?

Ina: Die Vorgeschichte war, dass ich schon vorher deinen Podcast gehört habe und mich das Thema Visionen so anspricht, weil es mich selbst in meiner eigenen Laufbahn sehr viel beschäftigt hat. Also Veränderung und neuer Input interessiert mich. Ich fand also das Format des Online-Kurses superspannend, da er noch mal reinzoomt in das Thema Teamentwicklung und moderne Ansätze auf den Tisch bringt. Da hab ich nicht lange gefackelt und mich angemeldet, mit der Idee, dass ich mal schaue, was es noch für meinen Methodenkoffer mit sich bringt. Gar nicht mit der Idee, dass ich etwas komplett Neues kreiere, sondern zu sehen, wie ich es in meinem Arbeits-Setting einfließen lassen kann. 

 

Ich habe zum Beispiel schon den Zukunftssprung im digitalen Raum ausprobiert. Hier noch mal ein Dankeschön an dich, dass du in dem Kurs die Ideen für das Offline- und das Online-Setting so toll beschreibst. 

 

Möchtest du auch in Zukunft noch mehr in Richtung Teamentwicklung gehen oder möchtest du deinen Fokus mehr auf die Coachings und die Workshops legen?

Ina: Ich glaube, dass sich das noch ein bisschen entwickeln darf. Ich bin ja gerade mal ein Jahr in der neuen Selbstständigkeit unterwegs und teste, suche und finde noch ganz viel. Letztlich habe ich das Gefühl, dass sehr viele Dinge wichtig sind, wie das Thema Teamentwicklung, das auch sehr nachgefragt ist. Deshalb denke ich aus meiner heutigen Position, dass es mehr in diese Richtung gehen wird. Ich glaube, dass es sich mit der Zeit zeigen wird, welche Verteilung es langfristig sein wird. Aber ich habe ja mittlerweile gelernt, dass ich das heute noch gar nicht entscheiden muss, sondern es sich selbst entwickelt. Und dann darf ich auch schauen, ob es zu mir und meinen Bedürfnissen passt oder ob ich nachjustieren muss. Oder ob sich auch etwas an der Nachfrage ändert.  

 

Viele Tools können wir ja auch in unterschiedlichen Settings anwenden. Ich habe zum Beispiel das Thema Rollen aus deinem Online-Kurs The Inner Transformation nicht mit einem Team ausprobiert, aber im Einzelsetting mit einer Führungskraft. Auch hier kommt es schon zu vielen Aha-Momenten, wenn man seine Tätigkeiten und Rollen einmal herunterschraubt und clustert. 

 

In meiner Vision arbeite ich auf jeden Fall weiterhin mit Therapeutinnen und Therapeuten zusammen, aber noch vertiefender, zielgerichteter und zukunftsfähiger. Denn ich fände es toll, wenn es irgendwann das neue Normal ist, dass eine Praxis sich an bestimmten Terminen im Jahr jemanden für ein Teamcoaching einlädt. Und ich freue mich, wenn noch mehr Coaches Angebote in diesem spannenden Bereich schaffen.


Ina Kimmel
Foto von Susanne Beimann

Ina Kimmel

Ina Kimmel ist Logopädin (B.Sc.), Sprechwissenschaftlerin (M.A.), systemischer Coach (DGfC) und lösungsfokussierte Beraterin (IASTI). Sie war 10 Jahre lang Inhaberin einer Praxis für Logopädie in Dortmund und arbeitet mittlerweile hauptberuflich als systemischer Coach und Teamentwicklerin. Unter dem Motto „Nur wer sich gut um sich selbst kümmert, kann sich auch gut um Andere kümmern“ sensibilisiert sie Therapeut*innen und therapeutische Teams für das Thema Resilienz und unterstützt dabei, Strategien für den Umgang mit Stressoren zu entwickeln. Mehr Infos über Ina findest du auf ihrer Homepage www.inakimmel.de




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